Von 1. bis 26. August 2022 kommen die Staats- und Regierungschefs der Welt zur 10. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags (oder auch: Vertrag zur Nichtverbreitung von Kernwaffen, NVV, NPT) zusammen. Es ist übrigens die erste Überprüfungskonferenz, die nach dem Inkrafttretens des Atomwaffenverbots in 2021 stattfindet.
Die 191 Mitgliedsstaaten stehen unter großem Druck. Da sind einerseits die jüngsten Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen anlässlich der russischen Invasion der Ukraine, die es klar und deutlich zu verurteilen gilt. Andererseits muss auch die Aufstockung und Modernisierung der Atomwaffenarsenale aller Atomwaffenstaaten thematisiert werden. Aber auch die zunehmende Rolle von Atomwaffen in den Sicherheitsdoktrinen der Nuklearwaffenstaaten muss verurteilt werden.
Die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag findet in einem sich rapide verschlechternden internationalen Sicherheitsumfeld statt, in dem das Risiko eines Atomwaffeneinsatzes steigt.
„Russlands Einmarsch in die Ukraine unter dem Deckmantel der Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen hat die NVV-Gemeinschaft gespalten, das Risiko des Einsatzes von Atomwaffen erhöht und die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung von Atomwaffen vergrößert. Gleichzeitig verletzen alle fünf atomar bewaffneten NVV-Mitgliedsstaaten ihre Abrüstungsverpflichtungen aus dem Vertrag und erhöhen das Risiko eines katastrophalen Atomkriegs.“
Beatrice Fihn, ICAN-Exekutivdirektorin
Wenn ein Staat Atomwaffen einsetzen würde, hätte dies katastrophale humanitäre Folgen, die Menschen auf der ganzen Welt schaden würden.
Im Vorfeld der Konferenz erstellte ICAN eine rechtliche Analyse der Einhaltung des Vertrags durch die einzelnen Kernwaffenstaaten, die zu dem Schluss kam, dass jeder Nuklearwaffenstaat gegen seine Verpflichtungen aus Artikel VI des NVV verstößt. Zu diesen Verstößen gehören:
- Vergrößerung der Arsenale (Russland, China)
- Anhebung der Obergrenze für die maximale Anzahl von Sprengköpfen (Großbritannien)
- Anheizen eines neuen nuklearen Wettrüstens durch jährliche Ausgaben in Milliardenhöhe für Atomwaffen, einschließlich des Baus neuer und gefährlicherer Waffensysteme (Vereinigte Staaten, Russland, China, Frankreich, Vereinigtes Königreich).
- Versäumnis, in gutem Glauben Verhandlungen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens zu führen und in gutem Glauben über nukleare Abrüstung zu verhandeln (Vereinigte Staaten, Russland, China, Frankreich, Vereinigtes Königreich).
Diese Verstöße und das Scheitern der internationalen Diplomatie im Zusammenhang mit der Invasion in der Ukraine ermöglichen es auch anderen Staaten, sich von der Nichtverbreitung und Abrüstung sich abzuwenden. Drei Nichtkernwaffenstaaten des NVV haben sich kürzlich in diese Richtung bewegt:
- Belarus hat angeboten russische Atomwaffen zu stationieren.
- Schweden und Finnland haben öffentlich erklärt, dass sie Atomwaffen nun als wesentlichen Bestandteil ihrer Sicherheitspolitik unterstützen und bereit wären, sich im Rahmen ihres Antrags auf NATO-Mitgliedschaft am Einsatz dieser Waffen zu beteiligen.
Diese Entwicklungen sind äußerst gefährlich und untergraben das Vertrauen in den Atomwaffensperrvertrag als Instrument zur Verbesserung der globalen Sicherheit.
Glücklicherweise hat sich die Mehrheit der Staaten der Welt gegen diese gefährlichen Entwicklungen gewehrt, indem sie den UN-Vertrag über das Verbot von Kernwaffen (TPNW) ausgehandelt, angenommen und in Kraft gesetzt hat.
Seit der letzten Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags haben sich die Bedingungen für ein umfassendes völkerrechtliches Verbot von Atomwaffen grundlegend geändert. Im Juni 2022 gaben die Vertragsparteien des TPNW die bisher schärfste multilaterale Erklärung gegen nukleare Bedrohungen ab und verabschiedeten einen 50-Punkte-Aktionsplan. Mit dessen Umsetzung haben sie begonnen, um die Ziele des TPNW voranzubringen und so die Führung bei der Umsetzung des NVV zu übernehmen.
„Die Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags muss die Energie nutzen und auf den Errungenschaften des TPNW aufbauen. In einer Zeit, in der die Spannungen zwischen den Atomwaffenstaaten zunehmen, reicht es nicht aus, sich hinter vagen Beteuerungen und leeren Versprechungen zu verstecken. Es ist an der Zeit, dass alle Staaten dem Vertrag über das Verbot von Kernwaffen beitreten, um den Atomwaffensperrvertrag zu retten.“
Beatrice Fihn
Quelle:
https://www.icanw.org/npt_review_conference_2022_starts
Weiterführende Links:
Rechtliche Analyse: Bewertung der Einhaltung des NVV
„Assessing Compliance with the NPT: A Legal Analysis“
ICAN-Briefing-Papier zur 10. NPT-Überprüfungskonferenz (englisch)